Im Urlaub möchte man eigentlich wenig Held sein

Shownotes

Über die Bedeutung von Barrierefreiheit beim Reisen, welche Tragweite und Implikationen Barrierefreiheit hat und vor allen Dingen: Was hat sie mit Nachhaltigkeit zu tun? Darüber sprechen wir mit Gabriel Toggenburg. Gabriel Toggenburg betreibt in Südtirol das Haus Himmelfahrt, Dieses liegt auf 1200 Meter Seehöhe am Sonnenplateau des Ferienbergs „Ritten“ und hat sich ganz der Verbindung von Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit verschrieben. Der Jurist hat in Florenz am Europäischen Hochschulinstitut promoviert, lange in der Wissenschaft gearbeitet und ist seit 14 Jahren für die EU im Bereich Menschenrechtsschutz tätig.

Hinweis: Mit Anderswo sprach Gabriel Toggenburg als Privatperson und die geäußerten Ansichten können somit nicht seiner Arbeitgeberin zugerechnet werden.

Haus Himmelfahrt:36 Massnahmen zu mehr Barrierefreiheit im Haus Himmelfahrt und Hauseigenes Nachhaltigkeitskonzept

virtueller Rundgang Haus Himmelfahrt

Vielen Dank an Susanne Hahn vom Reiseveranstalter anders-sehn - Reisen und Erlebnisse für Blinde, Sehbehinderte und Sehende, für die Beantwortung meiner Fragen zu Reisen für Blinde und sehbehinderte Menschen.

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Redaktion: Dounia Choukri, Kristina Kühne

Quellen und weiterführende Informationen zu Barrierefreiheit, Reisen und Nachhaltigkeit:

• Der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit: Aufsatz von Gabriel Toggenburg: „Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit als zwei Seiten einer Medaille: ein Aufruf zur "Intelligenz" im Europäischen Tourismus“ (Buchkapitel in: Alexander Heger et al (Hrsg.), Der Schutz des Individuums durch das Recht, Springer Verlag, S. 1179-1197)

• Barrierefreiheit und Zugfahren: Mitteilung des Bundesrechnungshofes zu „Betätigung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG im Hinblick auf die Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie; Schwerpunkte Energie/Klimaschutz und Barrrierefreiheit“ (siehe Teil 4 von Seiten 29-41), 2023

• Zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (in Deutschland seit 26. März 2009 in Kraft): hier finden sich die Staatenberichte sowie die Würdigung seitens des überwachenden Expertenkomitees (so genannte Concluding Observations) und hier den Text des Übereinkommens.

• Barrierefreiheit in der Praxis: DI Kornelia Grundmann betreibt die erwähnte Beratungsagentur Gabana. • Barrierefreiheit in der Kommunikation: das erwähnte Buch von Andreas Pröve, „Gegen den Strom. Mit dem Rolli durch China. 6000km den Jangtse entlang“ (National Geographic 2018) macht Mut. In den social media gibt es Tips und Motivation zB von Frau Kim Lumelius, „Wheeliewanderlust“.

• „Südtirol für Alle

• „Reisen für Alle“ - zertifizierte Angebote für Urlaub und Ausflüge in Deutschland

• Europäische Union, wichtige Dokumente: Europäische Agenda für den Tourismus 2030 und Übergangspfad für den Tourismus; zur EU Grundrechtecharter siehe hier ein Erklärvideo von Gabriel Toggenburg

• Europäische Union, wichtige Projekte: Netzwerk für barrierefreien Tourismus (ENAT); Pantou, die Platform für barrierefreie Angebote; der Europäische Preis für barrierefreie Städte (Access City Award), neues Europäisches Resourcenzentrum für Barrierefreiheit (accessibleEU)

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anderswo

Herzlich willkommen zum anderswo Podcast. In der letzten Folge haben wir, also meine Kollegin Katharina Garus und ich, Christina Kühne, euch wieder auf die weltgrößte Tourismusmesse nach Berlin mitgenommen und euch dort einige Reisetipps, die uns begeistert haben, zusammengestellt.

Heute starten wir mit einer neuen Staffel an Hintergrundgesprächen zu nachhaltigem Tourismus und haben uns dafür ein Thema ausgesucht, an das ihr vielleicht nicht als erstes denkt beim Stichwort Nachhaltigkeit, nämlich Barrierefreiheit. Über die Bedeutung von Barrierefreiheit beim Reisen, welche Tragweite und Implikationen Barrierefreiheit hat und vor allen Dingen, was hat sie mit Nachhaltigkeit zu tun? Darüber unterhalte ich mich heute mit Gabriel Toggenburg. Er ist mehr aus Wien zugeschaltet, wo er bei der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte tätig ist. Außerdem lehrt er an der Universität Graz zum Thema Menschenrechte und hat zuletzt in Südtirol ein Herzensprojekt umgesetzt, nämlich den Umbau eines alten Stalles in vier barrierefreie Ferienwohnungen. Also ihr hört schon, wir können uns auf viel fachliche Expertise und persönliche Erfahrung freuen. Herzlich willkommen Gabriel Toggenburg.

Gabriel Toggenburg

Ja, guten Tag Frau Kühne, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich, dass ich hier bin.

anderswo

Wer den Podcast schon mal gehört hat, der weiß vielleicht, jetzt kommt die Staffelfrage, denn die erste Frage gehört immer meinem letzten Gast aus der letzten Podcastfolge. In dem Fall war das Tom Streit von Schienenstrang, der ehrenamtlich Zugreisen in unsere östlichen Nachbarländer organisiert und er hat uns erzählt, warum es ihn immer wieder mit dem Zug ins Ausland zieht und kam bei einem Moment so richtig in Schwärmen, nämlich bei dem Moment, wenn man gemütlich an einem schön gedeckten Restaurant, Bordrestaurant sitzt, die Landschaft an einem vorbeiziehen sieht und sich auf sein frisch zubereitetes Essen freut. Auch wenn ich die Szene jetzt weniger schön ausgeschmückt habe als Tom Streit selbst, Herr Tomburg, die Frage geht an Sie. Können Sie diese Begeisterung nachempfinden?

Gabriel Toggenburg

Ja ja total, ich bin ein großer Zug-Restaurant-Fan.

Ich bändle also relativ regelmäßig zwischen Österreich und Italien und habe also mit großer Traurigkeit feststellen müssen, dass eigentlich so diese althergebrachten Zugrestaurants ein bisschen im Absterben sind. Früher war das doch immer sehr romantisch.

Jetzt ist man richtig übergegangen vom klassischen Zugrestaurant zu diesem Zug bis Droh, das schon so ein bisschen ein Kompromiss darstellt mit weniger Tischen und alles ist so ein bisschen fast food mäßig und natürlich das traurigste dann am Ende dieser Entwicklung ist dieses kleine Wegelchen, das durch den Zug rollt, wo es dann gar keine Tische mehr gibt. Ich genieße also diese Zugrestaurants immer, immer, immer sehr.

und bin einer dieser schlechterzogenen Menschen, die dann sich ausbreiten am Tisch und anfangen, das Zugrestaurant als Büro um zu funktionalisieren und dann einfach da weiter zu arbeiten. Aber ich bestelle immer brav, also ich werde dann immer dicker und dicker und arbeite da vor mich hin. Ich mag das sehr.

Das ist schon was tolles. Wobei man sagen muss, dass nicht jeder das Privileg hat überhaupt in den Zug zu kommen. Damit sind wir schon bei der Barrierefreiheit. Es ist ja also nach wie vor ein großes Thema mit der Barrierefreiheit des öffentlichen Verkehrs und insbesondere der Züge. Also selbst für Deutschland, das ja wahrscheinlich unter den fünf reichsten Ländern des Planeten ist, ist das noch ein großes Thema. Da gab es kürzlich ein

Bericht des Bundesprüfungsgerichtshofs, der die Bundesregierung also relativ harsh abgemahnt hat, was die Barrierefreiheit in deutschen Zügen angeht.

anderswo

Darauf kommen wir sicher noch später zu sprechen, wenn wir auf Barrierefreiheit und Reisen nochmal spezifischer zu sprechen kommen. Jetzt wollte ich erst nochmal so auf Ihren beruflichen Hintergrund auch zu sprechen kommen. Habe ich Sie richtig anmoderiert? Und können Sie für uns nochmal einordnen, inwieweit Barrierefreiheit und Grundrechte zusammenhängen?

Gabriel Toggenburg

Sie haben mich absolut richtig anmoderiert, wobei ich natürlich hier spreche als reine Privatperson und nicht für meinen Arbeitgeber. Der Zusammenhang zwischen Barrierefreiheit und Grundrechten, der ist eigentlich

immer nennt und war immer schon sehr direkt, weil die Verweigerung von Barrierefreiheit eigentlich eine Verleugnung des Gleichheitsgrundsatzes ist, weil man sich ja eine Behinderung nicht aussucht, sondern das ist ein Schicksal und wenn die Gesellschaft sich dann nicht dementsprechend bemüht, Maßnahmen zu setzen, damit diese Barrierefreiheit eben nicht eintritt, sprich vermeidet kaputte Lifte oder überhaupt Abwesenheit von Liften und Treppen und so weiter, dann ist es eine Grundrechtsverletzung und dazu kommt, dass es mittlerweile seit einigen Jahrzehnten ein ganz prominentes internationales Völkerrechtsabkommen gibt, die Konvention zu den Rechten von Personen mit Behinderungen oder Behindertenrechtskonvention, wie sie manchmal genannt wird in Deutschland und Österreich.

Diese Konvention ist eigentlich von fast allen Staaten der Erde ratifiziert worden und die verpflichtet die Staaten Barrierefreiheit zu gewähren, was auch für den Tourismus natürlich relevant ist. Jeder Staat wird dann regelmäßig überprüft, das war für Deutschland gerade letztes Jahr der Fall.

Ein 18-köpfiges Expertenkomitee in Genf trifft sich und schreibt dann für jeden Staat einen Bericht und für Deutschland hat es unter anderem auch geheißen, dass sich die Bundesregierung deutlich mehr bemühen muss, um sicherzustellen, dass auch der Tourismus barrierefrei ist. Das ist also etwas, wo auch Österreich noch nachhinkt.

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Das heißt, juristisch ist eine juristische Norm, die einfach noch nicht so umgesetzt ist, also als gesellschaftliche Aufgabe, nachdem der juristischen Norm quasi noch hinterherhinkt. Hab ich das richtig zusammengefasst?

Gabriel Toggenburg

Ja, absolut. Das ist leider Gottes generell im Menschenrechtsschutz das große Problem, dass es oft an der Umsetzung dann happert. Man hat also eine Reihe von Vertragsverpflichtungen und politischen Sonntagsreden und Erklärungen und Katalogen und Verpflichtungen. Aber bis die dann im Leben der Menschen im Alltag ankommen, da dauert das halt dann schon recht lang. Und oft braucht es eben wirklich so einen massiven Anschub.

Vor 25 Jahren zum Beispiel war das in Amerika dieser Capital Crawl. Das war eben jener Moment, wo man den ADA, den Act for Disability Rights, erlassen hat. Vielleicht erinnern Sie sich, das waren damals sehr eindrucksvolle Bilder. Da sind 1000 Menschen vor das Capital gezogen, hauptsächlich Rollstuhlnutzer.

und haben dann relativ spontan die Rollstühle stehen lassen vor dem Capitol Hill. Das sind ja diese ganzen Stufen, die da rauf führen. Und sind dann diesen Stufen entlang hinaufgekrochen. Von Stufe zu Stufe, sich hinaufhiefend. Deshalb eben Capitol Crawl. Und die erste, die oben angekommen ist, war ein ganz junges Mädchen, die war damals acht Jahre alt.

Und die wurde dann eigentlich so zum Leuchtturm dieser Bewegung und das hat dann tatsächlich geführt, dass dieser Akt angenommen wurde, wie gesagt vor einem Vierteljahrhundert. Und in Europa sind wir eigentlich immer noch dabei, also auch die Europäische Union versucht so einen einen Act anzunehmen, die sogenannte horizontale Diskriminierungsrichtlinie. Und seit 2008 verhandelt man da auf EU-Ebene und kann sich nicht einigen, unter anderem auch, weil Deutschland also hier nicht so begeistert mitzieht. Das sind langwierige politische Prozesse, bis man hier was bewegt.

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ist ja auch in der Umsetzung nicht ganz einfach, weil wir subsummieren unter Barrierefreiheit oder Menschen mit Einschränkungen ja sehr unterschiedliche Einschränkungen, die sehr unterschiedliche Unterstützung bedürfen. Also wir reden ja jetzt hier nicht von der Installation von paar Rampen für mobilitätseingeschränkte Menschen, sondern darunter fallen ja auch Menschen mit See- und Hör-Einschränkungen, aber auch psychisch Erkrankungen und geistige Einschränkungen.

Es ist denn realistisch jedem Bedürfnis immer gerecht zu werden.

Gabriel Toggenburg

Genau. Ja, ich glaube, es hat sich auch die Wahrnehmung, was Behinderung überhaupt darstellt, geändert, Gott sei Dank. Man spricht so von einer Dreistufenentwicklung, vom medizinischen Modell der Behinderung über das soziale Modell und letztlich zum Menschenrechtsmodell und das medizinische

Die medizinische Wahrnehmung von Behinderung war einfach die, dass es einen einzelnen Menschen gibt und der hat ein körperliches Problem, ein sensorisches Problem und damit muss er eben umgehen. Es ist praktisch eine Frage zwischen ihm und seiner ärztlichen Betreuung, wie man mit dieser Behinderung eben umgeht. Nicht eine medizinische Frage.

Dieses Modell hat man Gott sei Dank auch durch diese Behindertenrechtskonvention der UNO verlassen und hat dann gesagt, das ist eigentlich eine soziale Frage, weil die Behinderung entsteht ja nicht allein durch die medizinische Sachlage, sondern durch die Interaktion.

des körperlichen Gebrechens oder Unvermögens mit der sozialen Gegebenheit. Also man wird ja zum Beispiel als Rollstuhn-Nützer durch eine Stiege nur deshalb behindert, weil es eben nur die Stiege gibt und keinen Lift. Also die Behinderung an und für sich behindert ja nur dann, wenn die Gesellschaft nicht eine Möglichkeit findet diese Behinderung zu umgehen und deshalb eben dieses soziale Modell, was praktisch die Verantwortung auch zur Gesellschaft schiebt, etwas zu tun.

Und letztlich dann die dritte Phase, eben das menschenrechtliche Modell von Behinderung, die sagt, naja, es ist eigentlich nicht eine Gnade der Gesellschaft, hier etwas zu tun oder einen Lift statt einer Treppe hinzustellen, sondern es gibt einen juristischen Anspruch.

Und den kann man eben auch einklagen. Und auf die Frage zu kommen, was ist realistisch, kann man wirklich auf jede Form von Behinderung eine Lösung finden? Wahrscheinlich nicht. Es hängt natürlich auch davon ab, ob eine gewisse Verhältnismäßigkeit gegeben ist, weil das ist ja immer so bei Menschenrechten, dass man sieht, dass manche Menschenrechte sicher auch gegenseitig widersprechen. Also zum Beispiel es gibt ein Menschenrecht auf unternehmerische Freiheit und wenn man jetzt dem Unternehmertum ständig tausende Verpflichtungen vor die Füße werfen würde und Unternehmer verpflichtet auch dafür selbst aufkommen zu müssen, damit sämtliche Barrieren beseitigt werden, dann greift man natürlich auch in das Grundrecht des Unternehmers ein. Und insofern muss man hier abwägen und die Juristen führen für diesen Abwägungsprozess eben immer die Verhältnismäßigkeit ins Spiel. Also man muss eben schauen, gibt es Verpflichtungen, die weniger eingreifen in das Recht des Unternehmers und trotzdem zum gleichen Ziel führen.

Da muss man eben diesen Weg führen und nicht den belastenderen Weg. Davon hängt es wohl ab. Aber ich glaube, was schon wichtig ist, ist, dass man Behinderung und Barrierefreiheit ein bisschen weiter sieht als nur die Rollstuhlnutzerin. Das ist wichtig. Und zurückzukommen auf das Thema der Züge. Die Deutsche Bahn sagt immer sehr stolz 90 Prozent unserer Bahnhöfe sind barrierefrei. Das hängt eben dann gerade davon ab, was man als Behinderung empfindet. Und es gibt eben einen Katalog, wann ein Bahnhof barrierefrei ist. Der hat also etwa acht Kriterien. Und die Vermeidung von Stiegen und die Bereitstellung eines Aufzugs ist nur ein Element. Ein anderes ist zum Beispiel, dass es eben Leitlinien gibt für blinde Leute oder dass es für Taube Lautsprecher gibt, die auch im Außenbereich hörbar, Nachrichten, Mitteilen. Und wenn man diese Kriterien mit einbezieht, dann ist man auf einmal nur bei einem Viertel der deutschen Bauernhöfe, die barrierefrei sind. Also insofern haben Sie total recht. Es ist schon gut, ein bisschen näher hinzuschauen, von wem sprechen wir eigentlich. Und oft vergisst man eben dann Menschen, die sensorische Einschränkungen haben.

Man darf es also wirklich nicht verengen nur auf den Rollstuhlnutzer. Oder denken Sie an Leute mit Autismus zum Beispiel. Das ist auch jemand, der unter einer autistischen oder unter einer neurologischen Störung leidet oder der farbenblind ist, der zwar sieht, aber keine Farben erkennt, deshalb keine Ampel lesen kann. Die brauchen natürlich dann wieder andere, ein anderes Entgegenkommen der Gesellschaft. Ja, das stimmt.

anderswo

Und wenn dann die Infrastruktur vorhanden ist, dann muss er auch noch funktionieren. Das ist ja auch nicht immer der Fall. Genau, nun sind wir ja im Podcast für nachhaltigen Tourismus. Und beim nachhaltigen Tourismus reden wir wahnsinnig viel über Klimaschutz, Fußabdrücke, Wertschöpfungsketten, über soziale Gerechtigkeit für die Einheimischen und für Beschäftigte im Tourismus.

Ganz manchmal, von Barrierefreiheit hört man wenig, aber ganz manchmal fließt es gerade so bei Jobbezeichnungen im Tourismus zusammen und gibt es Menschen, die zuständig sind, zum Beispiel für Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit. Manchmal, ganz manchmal kommt dann auch noch der Begriff Qualität dazu und das scheint manchmal so ein bisschen im Dreieck zu stehen. Jetzt erstmal die Frage, wie hängen Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit zusammen?

Gabriel Toggenburg

Das finde ich eine total spannende Frage, auch weil ich glaube, dass sie auf eine mögliche Lösung vieler politischer Probleme hinweist. Man sieht schon, dass in den letzten fünf Jahren wahnsinnig viel politische Energie und auch gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf die Nachhaltigkeit gelegt wird.

Und die Barrierefreiheit ist eine ganz kleine Schwester der Nachhaltigkeit. Und ich glaube, wenn es uns im Diskurs gelingt, ein bisschen dieser Aufmerksamkeit, die man auf Nachhaltigkeit legt, umzulenken auf Barrierefreiheit, dann würde man also einen großen Schritt vorwärts machen.

Und dieser Zusammenhang, der ist also nicht nur herbeigeredet, also der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit, sondern der ist auch angelegt schon in den grundlegenden Dokumenten. Also es ist ja ein UNO-Prozess, von den Vereinten Nationen aufs Gleis gestellt. Es gibt diese 17 Nachhaltigkeitsziele, die sich dann untergliedern in 169 Unterziele und für die wiederum gibt es 232 Indikatoren, die dann messen, wann ein Staat diese Ziele erreicht.

Und einige dieser SDGs, dieser Nachhaltigkeitsziele, sprechen ganz explizit von Barrierefreiheit. Also das wäre zum Beispiel das Ziel 4, inklusive Bildung, wo man auch sagt, es ist eben wichtig, dass Menschen, die Behinderungen haben, dass die einen gleichberechtigten Zugang zu sämtlichen Bildungseinrichtungen und Bildungswegen haben. Oder das Ziel 8, da geht es um das nachhaltige Wirtschaftswachstum,

Da sagt man eben auch, es ist wichtig, dass das Wirtschaftssystem Arbeitsplätze schafft, die den Zugang zum Arbeitsmarkt auch ermöglichen für Leute, die alle möglichen Behinderungen haben. Oder dann gibt es das Ziel 10, das heißt, sehr breit gefasste Beseitigung von Ungleichheiten zwischen den Ländern, aber auch innerhalb der Länder. Und das ist natürlich ganz offensichtlich relevant für sämtliche Diskriminierungsfragen.

Und dann noch vielleicht spannend Ziel 11, da geht es um inklusive Städte. Da ist Barrierefreiheit natürlich ein großes Thema. Wie stellt man sicher, dass der öffentliche Raum, da geht es von Kinderspielplätzen bis zu Verkehrsmittel, Grünflächen, Erholungszonen, Denkmäler, touristische Zonen, wie kann man die wirklich so gestalten, dass eben jeder die gleichermaßen benützen kann.

Also das finde ich spannend, dass man sich vergegenwärtigt, dass das eigentlich schon angelegt ist in den Dokumenten selber.

anderswo

Das heißt, die Barrierefreiheit könnte durchaus von den vielen Anstrengungen, die gerade um Nachhaltigkeit getan werden, auch profitieren oder verliert sie ein bisschen an Relevanz, wenn man sie quasi nur als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie sieht.

Gabriel Toggenburg

Ich glaube nein, weil die Nachhaltigkeitsstrategie ja so umfassend ist und tendenziell an Bedeutung gewinnt. Wir sehen jetzt natürlich auch eine gegenläufige Bewegung, gerade auf der politischen Ebene im Rahmen der Europäischen Union haben wir gesehen, dass die politischen Prozesse zur Frage Landwirtschaft oder Wiedergewinnung von Grünräumen, dass man hier insbesondere vom rechten politischen Spektrum zunehmend auch Gegenwind bekommt.

Aber leider Gottes müssen wir davon ausgehen, dass der Prozess der Klimakatastrophe immer mehr politischen Druck schaffen wird hin zur Nachhaltigkeit. Und da glaube ich, auf diesem Zug, bei diesem Zugbild zu bleiben, kann also die Barrierefreiheit da aufspringen. Wir haben ja gerade kürzlich ein Urteil gehabt vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, wo es ging um die Frage des Rechts auf Umwelt und ob man ob Staaten menschenrechtlich verpflichtet sind, etwas zu tun gegen den Klimaschutz, wo der Gerichtshof sehr erstaunlich klar gesagt hat, tatsächlich sind Staaten verpflichtet, den Klimawandel zu bekämpfen. Und ich denke, dass es ein Trend, der leider Gottes ein Zukunftstrend ist. Selbst wenn sich das politische Klima dreht, das Naturklima wird sich nicht drehen. Das wird bei uns bleiben.

anderswo

Und wenn wir jetzt nochmal den Begriff Qualität nochmal dazu nehmen, würden Sie sagen, dass Barrierefreiheit, mit der Barrierefreiheit steigt auch die Qualität für alle? Also profitieren alle davon am Ende?

Gabriel Toggenburg

Ja, das ist eben auch etwas, was Sie, glaube ich, ganz zurecht fragen, weil das Schöne an der Barrierefreiheit als politisches Thema ist eigentlich, dass es relativ konsensual ist. Also das ist nicht ein wahnsinnig umstrittenes politisches Thema, wie Sie fragen da.

Der Geschlechtergleichheit oder der Migration oder der Integration. Niemand ist eigentlich prinzipiell gegen Barrierefreiheit. Es geht eigentlich nur dann um die Frage der Verhältnismäßigkeit und der Kosten. Was können wir uns leisten? Aber es ist durchaus jedem klar, dass Barrierefreiheit etwas ist, was allen zugute kommt, insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass es ja eben nicht nur um die Rollstuhlfahrerin geht oder um den Rollstuhlnutzer, sondern es geht um uns selber, die wir in 30, 40 Jahren mit dem Rollator herum werkeln. Es geht um den jungen Vater, die junge Mutter, die mit einem schweren Kinderwagen nicht um Ecken kommt und nicht durch Türen, nicht in den Zug hinein, nicht aus dem Bus hinaus.

Und insofern ist die Investition in Barrierefreiheit etwas, was uns allen zugute kommt, unseren Großmüttern, unseren Enkelinnen. Und gerade im Bauwesen ist der Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit eigentlich aucha lso derart offensichtlich, wenn Sie heute ein Haus neu bauen und Sie machen sich keine Gedanken, wie Sie in 30 Jahren mit dem Rollator sich in Ihrem eigenen Haus bewegen, dann bauen Sie natürlich doppelt teuer, weil die Barrierefreiheit, die man im Nachhinein dann einführen muss in eine Struktur, ist natürlich wesentlich teurer als die Barrierefreiheit, die Sie bei Design, also von Anfang an mitplanen.

Insofern denke ich, ist das relativ selbsterklärend, warum Barrierefreiheit die Qualität für alle erhöht.

anderswo

Menschen, die sich für Barrierefreiheit einsetzen und damit auch auseinandersetzen, die sind meistens selbst betroffen oder haben Menschen in ihrem näheren Umfeld, die davon betroffen sind. Das ist ja auch bei Ihnen der Fall so. Und wie ist es dazu gekommen, dass Ihnen das Thema so wichtig ist?

Gabriel Toggenburg

Es hat mich schon immer ein bisschen begleitet. Mein Bruder ist Rollstuhlnutzer. Das Thema der Behinderung, mit dem bin ich ein bisschen aufgewachsen. Während meines Studiums war ich im Malteser Hilfsdienst aktiv. Die machen auch sehr viel für Menschen mit Behinderungen, gerade Reisen.

Das Thema, wie reißt man als Rollstuhlnutzer, das begeidet mich schon etwas länger. Und die Sache mit dem Haus Himmelfader kam halt an verschiedene Faktoren zusammen. Meine Mutter wurde dann auch in einem Pflegefall.

anderswo

Ich muss mal ganz kurz, glaube ich, nochmal einhaken, weil ich es in der Anmoderation nicht ganz so deutlich gesagt habe. Diese vier Ferienwohnungen, die sind natürlich nicht umsonst entstanden, sondern weil sie einen Ort geschaffen haben, der für barrierefrei, also der absolut barrierefrei ist und nachhaltig, muss man auch nochmal betonen. Und dieser Ort liegt in Südtirol in Oberbozen.

Und genau, in dem Ort Maria Himmelfahrt und das Haus heißt Haus Himmelfahrt.

Gabriel Toggenburg

Ja, also Himmelfahrt ist ein winziges Dorf. Ich glaube, das sind so 30 Häuser. Ich weiß nicht, ob Sie zufällig gelesen haben das Buch von Michael Ende, Jim Knopf und der Lokomotivfahrer. Genau, da gibt es auch diese kleine Insel Lumerland, glaube ich, hat sie geheißen.

Und Maria Himmelfahrt ist ein bisschen wie Lumerland, das ist eine winzige Insel auf 1200 Meter Seehöhe am Eck eines Sonnenplateaus, der Ritten, ein Ferienberg in Südtirol.

Und tatsächlich haben wir auch einen kleinen Bahnhof. Lumerland hat ja auch einen Bahnhof. Der dürfte auch so groß sein wie der Bahnhof von Lumerland. Dazu kommt fünfmal pro Tag darauf hin. Darauf sind wir sehr stolz, weil früher war er nur dreimal, jetzt kommt er fünfmal pro Tag.

Und der Zug ist aus Holz gebaut. Wenn man Glück hat, dann fährt man in der alten Garnitur. Die ist noch aus Holz. Die ist weit über 100 Jahre alt. Und weil wir heute schon so oft über Züge sprechen, das Haus Himmelfahrt ist besonders stolz, weil jetzt aufgrund unseres Betreibens dieser winzige Bahnhof einen eigenen Lift bekommt, damit man dann in den Holzzug als Rollstuhlnutzer auch hinaufgehoben werden kann. Also ein über 100 Jahre alter Zug wird auf einmal barrierefrei. Und ja, die Idee mit dem Haus Himmelfahrt kam einfach, weil die Pferde meiner Mutter dann eben nach und nach gestorben sind und sie sind in das Nachbarhaus gezogen und dann wollte ich eben etwas schaffen, was nicht nur Sinn macht, sondern mir auch persönlich Freude macht und wo man vielleicht durch die Beseitigung von körperlichen materiellen Barrieren auch Barrieren im Kopf beseitigen kann. Ich glaube, das ist ja das Spannende, wenn man versucht, Leuchtturmprojekte zu schaffen, auch wenn sie noch so winzig und klein sind, dann hat man auch so eine gewisse Signalwirkung.

Man schafft dann so ein Signal. Kürzlich waren wir etwas geschmeichelt, weil die Frankfurter Allgemeine von Haus Himmelfahrt gesprochen hat als ein europäisches Leuchtturmprojekt, was natürlich etwas aberwitzig ist, weil wir ja wirklich nur eine kleine, winzige Zwergenstruktur sind. Aber vielleicht kann man trotzdem was bewirken, wenn man zeigt, was möglich ist eigentlich. Und wenn man auch diesen Zusammenhang versucht zu unterstreichen zwischen

Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit, wo wir eben für beide Elemente eine Philosophie oder eine Strategie für unser Haus entworfen haben und wo wir bemühen, das zu kommunizieren.

anderswo

So ein Umbau einer alten Struktur ist jetzt auch kein, nichts, was man von heute auf morgen macht, das muss gut geplant werden. Wie war der Anteil aus eigener Erfahrung und externer Hilfe bei der Umsetzung, bei der Planung? Braucht man auch, wenn man sich lange damit beschäftigt hat, trotzdem nochmal jemanden, Experten, der mit drauf guckt und nochmal mitdenkt?

Gabriel Toggenburg

Ja, das braucht man auf alle Fälle. Ich glaube sowieso, dass zwei Paar Augen sehen immer mehr als ein einzelnes Paar an Augen.

Gerade bei der Barrierefreiheit, das ist so ein komplexes Thema und ich bin ja selber nicht Rollstuhlnutzer. Also ich maße mir an, über die Interessen von Leuten zu sprechen, deren Schicksale ich gar nicht teile. Das ist immer ein bisschen sensibel. Insofern habe ich mich gewandt an eine Agentur für Barrierefreiheit, die geleitet wird von der Frau Grundmann, die selber Rollstuhlnutzerin ist. Also die ist praktisch unmittelbar betroffen und eine herausragende Expertin für Barrierefreiheit.

Gabriel Toggenburg

Die sitzt in Nordtirol und beratet viele Menschen in der Touristik. Und das hilft natürlich schon sehr, weil man da auf Sachen gestoßen wird, die ich nicht mit bedacht hätte. Und wirklich viele Details, also wo soll welcher Griff montiert werden und ich weiß nicht, eine hydraulische Auslösung der Spüle, der Toilette, weil man sich sonst bei einer gewissen Form der Behinderung nicht ausreichend umdrehen kann, um den Duschauslöser zu betätigen oder der Alarmknopf, der eben sei es für taube Menschen als auch für blinde Menschen registrierbar sein muss und die Höhen der Küchen, die eben unterfahrbar sein müssen und wie hoch darf der Griff des Eisschrankes sein und so fort. Es war doch relativ umfangreich, wenn man das ernst nimmt, das Thema.

anderswo

Gibt es denn sowas wie Förderhilfen, irgendwelche finanziellen Unterstützungen, wenn man dieses Projekt angeht und sagt, ich will was tun für mehr Barrierefreiheit im Tourismus, gibt es sowas?

Gabriel Toggenburg

Also im gewerblichen Bereich mag es das geben. Wir sind ja so winzig, dass wir das auch gar nicht gewerblich machen, sondern es ist eine rein private Aktivität. Wir sind praktisch Privatvermieter. Es ist mir auch wichtig, immer wieder zu betonen, weil das ist kein wirtschaftliches Projekt natürlich. Da geht es natürlich auch um Leidenschaft, um das Bedürfnis etwas zu bewegen. Und als Privatperson ist es dann schwierig mit den Förderungen. Wir haben dann zwar andere Förderungen bekommen, aber die haben eigentlich eher zu tun gehabt mit der italienischen Steuerregelungen nach der Covid-Krise, da gab es eben diesen berühmten Centodieci, auf italienisch heißt das 110, wo der Staat eben 110 Prozent gewisser Ausgaben zurückerstattet hat.

Und das ist auch ein Punkt, der für mich irgendwie eine interessante Erfahrung war, weil ich ja bis jetzt noch nie so unternehmerisch tätig war und hab jetzt doch vielleicht noch mehr Respekt vor dem Unternehmertum, weil ich als Beamter diese naive Vorstellung gehabt hat, wenn man etwas auf die Beine stellt als Unternehmer, dann bewegt man sich in einem kalkulierbaren Rechtsrahmen. Aber das war also überhaupt nicht der Fall.

Ich habe den Eindruck gehabt, das war vollkommen unabsehbar, wo ich mit dieser Investition lande. Ob das eine Katastrophe wird, ob das alles halb illegal ist, ob ich Förderungen bekomme, ja oder nein. Ob es überhaupt möglich ist, das touristisch zu nützen. Das war genau die Zeit, als in Südtirol diskutiert wurde der sogenannte Bettenstopp. Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben. Südtirol ist, glaube ich, die einzige und erste Region in Europa, das Tourismusvolumen gedeckelt hat. Also man hat gesagt, wir haben so viel Tourismus im Land, wenn wir noch mehr Tourismus haben, dann schaden wir dem Tourismus, weil das einfach wie in Venedig zu viel werden wird. Und dann hat man also ein Verbot eingeführt und gesagt, es darf keine zusätzlichen Betten mehr geben. Aber wie genau, also wer davon betroffen ist und welche Form von Deckelung hat man damals noch nicht gewusst und praktisch mein Umbauprozess war parallel zu diesen politischen Diskussionen. Plus habe ich also nicht gewusst, wird es Förderungen geben, wird es keine Förderungen geben. Dann war noch diese Covid-Krise. Es war genau in der Zeit, wo die Unternehmer einem gesagt haben, die Bauunternehmer ja, also wir können ihnen gerne einen Kostenvorschlag, Voranschlag erstellen, aber halten tun wir jetzt nicht dran, weil wir wissen alle nicht, was passiert. Das war schon eine grenzwertige Erfahrung, muss ich sagen, diese Umbauzeit.

anderswo

Jetzt haben Sie ja nachhaltig und barrierefrei umgebaut. Ist das immer Hand in Hand gegangen oder gab es auch mal Sachen, wo Sie gesagt haben, jetzt müssen wir an der einen oder anderen Stelle einen Abstrich machen?

Gabriel Toggenburg

Absolut, bei uns ist es ja noch komplizierter, weil das Haus Himmelfahrt basiert oder gründet auf drei Säulen, also Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit und Tradition. Tradition deshalb, weil Maria Himmelfahrt seit 400 Jahren ein Ort ist für Sommerfrische, also da hat man schon 1550 die ersten Sommerfrischhäuser gebaut und wir wollen natürlich diese Tradition schützen und bewahren und unser Gebäudeensemble steht unter Denkmalschutz und dieses Stallgebäude, das wir umgebaut haben, steht unter indirektem Denkmalschutz.

Das bedeutet zum Beispiel, um ein konkretes Beispiel zu geben, dass jene Fenster, die schon vorhanden waren, die haben genau in diesen Ausmaßen bleiben müssen, während neue Fenster, die darf man so groß machen wie man will.

Und eines der Grundprinzipien der Barrierefreiheit ist ja jenes, dass die Unterkante der Fenster so tief gesetzt werden muss, dass die Rollstuhlnutzerin ganz bequem hinausschauen kann in den Garten. Also das sind sehr tief angelegte Fenster, sehr untypisch.

Und das Resultat ist jetzt natürlich, dass wir manche Fenster barrierefrei haben. Also da kann man raus schauen im Rollstuhl und andere Fenster sind zu hoch. Da muss man sozusagen versuchen, sich aufzusetzen im Rollstuhl, um raus sehen zu können. Und solche Zielkonflikte gibt es natürlich auch zwischen Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit. Also zum Beispiel war ich am Anfang versessen von der Idee, nur höchst klassifizierte Elektrogeräte im Haus zu verwenden, die die höchste Energieklasse, dieses EU-Lebel haben, also einen minimalen Stromverbrauch. Aber das habe ich bemerkt, geht dann nicht. Ich habe dann auch tiefer gestufte Geräte kaufen müssen, weil wenn man zum Beispiel einen Eisschrank will, der barrierefrei ist oder ein Rohr, so tief zu montieren ist, dass man im Rollstuhl hinkommt, dann gibt es dann auf einmal in dieser Größe und Positionierung nur Geräte, die eben nicht mehr die höchste Nachhaltigkeitsklasse haben. Mit solchen Zielkonflikten muss man natürlich dann irgendwie umgehen und dann eben auch Kompromisse finden.

anderswo

Also haben Sie es eigentlich schon ein bisschen beantwortet, die Frage? Haben Sie im Nachhinein noch mal so Sachen, wo Sie denken, das hätten wir doch anders planen können? Passiert einem das trotzdem, auch wenn man es so bedacht angeht?

Gabriel Toggenburg

Ja, also ich denke schon, aber erstaunlich wenige. Also ich bin dann doch zufrieden gewesen. Und ich glaube nicht, dass es deshalb war, weil wir so wahnsinnig toll geplant haben, sondern weil sich halt auch der Prozess recht lange hingezogen hat. Und dann sind uns immer wieder Sachen eingefallen und haben gesagt, ja toll, das müsste man auch machen. Also wir sind dann auf Dinge gekommen, die mir einfach zugetragen wurden, die so zugeflogen sind. Zum Beispiel, also ich habe noch nie gewusst, wissen Sie zum Beispiel, was ein Watergrinder ist?

anderswo

Ich weiß es aus Ihrem Büchlein jetzt.

Gabriel Toggenburg

Habe ich auch nicht gewusst. Also für mich war das ganz neu. Das ist also ein Fitnessgerät, das verwendet wird, entweder von Rollstuhl-Nutzern oder von Seglern. Also eine komische Kombination, warum würde ein Segler so ein Ding benutzen. Das sind also Geräte, wo man im Sitzen die Oberarme und den Oberkörper trainiert, an so zwei Kurbeln, die man dreht.

Und das mimt praktisch das Kurbeln im Seesport nach, wo man ja auch so ganz schnell kurbeln muss, um die Segel einzuholen. Und dieses Fitnessgerät ist ideal für Rollstuhlnutzer, weil da fährt man einfach mit dem Rollstuhl hin und trainiert dann mit diesen zwei Kurbeln bei uns in der Spa-Zone. Das ist etwas, was mir halt einfach dann in letzter Sekunde noch zugetragen wurde.

Also insofern hat sich der Prozess da immer wieder angereichert mit neuen kleinen Ideen. Aber Sie haben mal gefragt nach einem Fehler, den ich im Nachhinein entdeckt habe. Zum Beispiel die Duschwände, das war ja ein langes Thema. Man sagt ja immer, dass wenn man ein Haus benoten will, ob es jetzt wirklich barrierefrei ist oder nicht, dann soll man gleich in die Nasszelle, also in das Bad gehen, weil das ist der neuralgische Knotenpunkt, wo man am meisten Fehler machen kann. Und ich hätte immer gerne gehabt ein Badezimmer ohne Duschwände, um also wirklich maximalen Rotationsgrad zu haben, dass man also wirklich keine Beschränkung hat.

Und das ist aber schwierig dann, weil diese Duschvorhänge, wenn die ökologisch sein sollen, dann faulen die oder kriegen schwarze Flecken oder die werden dann von der Decke gerissen. Also letztendlich sind wir dann doch bei Glaswänden gelandet und die würde ich jetzt anders designen, um ein kleines Beispiel zu nennen.

anderswo

Ja, okay. Ich würde noch mal gerne den Blick noch mal ein bisschen weiten und auf die Versorgungskette eines touristischen Angebots zu sprechen kommen. Was ich damit meine, ist, es ist wunderschön, wenn ich nachher in einer Ferienwohnung bin und wohne, die völlig auf meine Bedürfnisse abgestimmt ist.

Hab aber wenig davon, wenn die Barrieren außerhalb dieser vier Wände so groß sind, dass ich Probleme bei Unternehmungen und Einkäufen zum Beispiel habe. Also dass ich am Ende auf so einer Art barrierefreien Insel lande und von der Umgebung abgeschottet bleibe, weil mein Bewegungsradius eingeschränkt ist. Und daran schließen sich für mich gleich mehrere Fragen. Zunächst einmal, vor welchen grundsätzlichen Herausforderungen stehen Menschen mit Behinderungen beim Reisen?

Gabriel Toggenburg

Ja, also prinzipiell glaube ich, ist es möglich, überall hinzureisen als Mensch mit einer Behinderung. Es gibt nur viele Reisen und viele Länder und viele Zonen, wo man zum Beispiel als Rollstuhlnutzer ein Held sein muss. Ich weiß nicht, ob sich zufällig gehört haben von Andreas Pröve, der seit Jahrzehnten mit seinem Rollstuhl überall herum reist. Eines seiner Bücher heißt Gegen den Strom, wo er über seine Reise berichtet entlang des Yangtze in China, also 6000 Kilometer mit dem Rollstuhl dem Yangtze entlang.

und der beschreibt Situationen, die haarsträubend sind. Da findet er sich einmal in einem Hotel wieder, wacht in der Früh auf. Es ist niemand da und er hat keine Möglichkeit, hinunter zur Rezeption zu kommen. Er öffnet dann das Fenster, schreit hinaus auf die Straße, ob ihn jemand helfen kann. Die Leute verstehen ihn nicht.

Nach einigen Stunden sagt er, hier oben sterbe ich, ich muss mich jetzt mit meinem Rollstuhl die Stiege entlang mit Muskelkraft Stufe für Stufe runterlassen. Natürlich ein lebensgefährliches Unterfangen, aber er hat es überlebt, er hat es geschafft.

Und möglich ist vieles, aber nicht jeder ist ein Held, nicht jeder will ein Held sein. Das Gegenteil ist ja der Fall, im Urlaub möchte man eigentlich wenig Held sein und sich einfach entspannen. Und hier ist glaube ich die ganz große Herausforderung, Information. Also wir Leute, die keine Behinderung haben, wir finden es ja ganz toll, dass man so spontan verreisen kann. Und das spontane Verreisen ist, für jemand mit einer Behinderung eigentlich ausgeschlossen. Also man muss alles planen, man muss vorher wissen, was ist womöglich und das große Problem ist, dass es sehr schwer ist, das herauszufinden.

Was ist möglich? Und daran gekoppelt ist auch die große Debatte um die Zertifizierung. Die Leute rufen irgendwo in einem Hotel an und das Hotel sagt, ah ja, Rollstuhlfahrer, kein Problem, haben wir schon mal gehabt. Oder die sagen, ah für Behinderte, da haben wir schon ein Zimmer. Und wenn man dann dort hinkommt, dann hat man den Eindruck, die haben gar keine Ahnung, was Barrierefreiheit darstellt.

Das ist glaube ich die große Herausforderung, dass es keine Markttransparenz gibt und es ist sehr schwer zu verstehen, wie wird Barrierefreiheit gelesen, was kann ich wo machen und hier glaube ich ist viel Nachholbedarf.

anderswo

Wir kennen das ja aus der Nachhaltigkeit, also rein klimafreundliche Nachhaltigkeit betrachtet. Die Zertifizierung ist ein Riesenthema und dann denkt man ja von außen oft so, ach ja, muss doch möglich sein, aber der Teufel steckt dann immer im Detail. Das ist kein leichtes Unterfangen tatsächlich. Fängt schon mit Kriterienaufstellungen an, mit der Sichtung von Angeboten, von der von Gutachten, was ist realistisch, wo hört man auf, was nimmt man noch mit? Und dann stelle ich mir das bei Barrierefreiheit tatsächlich noch mal schwieriger vor, weil mit einer einfachen Kennzeichnung ist es ja, wie Sie es auch gesagt haben, nicht getan. Wir haben in der Vorfeldauf die Recherche auch noch mal so einen Blog gefunden, wo auch noch mal ein Kommentar hinterlassen wurde. Und da stand dann eben auf der Suche nach einer behindertengerechten Ferienwohnung

haben wir nach einer Ferienwohnung mit Rollizeichen, da gab es Rollizeichen wohl, aber es gab keine Angaben, ob Erdgeschoss, wie breit die Türen sind, die Größe des Bewegungsraums, keine Haltegriffe in der Toilette, keine unterfahrbare Waschbecken. Wir sind immer gerne gereist und jetzt nichts als Probleme. Also tatsächlich ist es nicht mit einer einfachen Kennzeichnung auch getan.

Gabriel Toggenburg

Und mit diesem Kennzeichen oder diesen Labels ist es ja ganz generell problematisch, weil es so ein bisschen ein Teufelskreis ist. Die Unternehmer sind nur dann bereit, in ein Label zu investieren, weil die sind ja nicht gratis.

Man muss sich einen Prozess unterwerfen, man muss dann zahlen, das muss man auch abonnieren. Das heißt, diese Zahlung ist nicht einmalig, sondern muss man das immer wieder zahlen. Und das tut man natürlich nur dann als Unternehmer, weil man weiß, da gibt es einen wirtschaftlichen Benefit. Also ich werde dann mehr Kunden bekommen, weil die haben Vertrauen. Auf der Kundenseite wiederum ist es so, dass die sagen, also ich vertraue einem Label nur, wenn sich da genügend Hotels oder Fanwohnungsanbieter angeschlossen haben. Und dann stehen also praktisch so zwei Katzen vis-à-vis und starren sich an.

Und entweder es funktioniert nicht oder es kommt zu einem Wildwuchs, was man ja gerade im Bereich der Nachhaltigkeit gesehen hat, wo die EU-Kommission kritisiert hat, dass es hunderte von Green Labels gibt. Kein Mensch kennt sich mehr aus. Und dann kippt das Vertrauen der Konsumenten weg und dann ist es eigentlich alles sinnlos. Und insofern ist es glaube ich wichtig, dass man in diesen Labelprozess einsteigt als öffentliche Hand, als Staat,mit einer hohen Qualität, um also Vertrauen zu erwecken bei den Unternehmen, also auch bei den Konsumenten. In Deutschland klappt das ja recht gut, wenn ich das aus Österreich irgendwie so recht sehe. Da gibt es ja dieses Kennzeichnungssystem Reisen für alle, mittlerweile schon seit vielen Jahren, das allerdings defizitär ist, also hier muss die öffentliche Hand zuschießen. Das war ja dann glaube ich auch in Berlin ein großes Thema und mittlerweile ist das ja über Bayern verwaltet. Und trotzdem sagen halt die Interessengemeinschaften, dass obwohl das ein funktionierendes gutes System ist, ist es nicht genügend benutzt. Also es gibt um die 2.600 zertifizierte Unternehmen in Österreich, in Deutschland für dieses Reisen für alle. Aber der gesamte Markt umfasst 650.000 Anbieter, wenn man alles zusammenzählt. Also hier ist auch noch viel Luft nach oben. Also ja, das ist ein wichtiger Punkt. Vielleicht in Südtirol funktioniert es relativ gut. Da gibt es eben auch ein System, das nennt sich Südtirol für alle, wo natürlich das Haus Himmelfahrt dabei ist und da kann ich Ihnen auch konkret erzählen, wie das da so abläuft. Da ist es so, dass man als Anbieter dann wirklich detailliert vermessen wird von dieser Vereinigung Reisen Südtirol für alle.

Also die Betthöhe wird abgemessen, die Klinkenlänge, wie breit ist der Lift? Wie ist es mit dem Rotationsradius im Badezimmer? Kann man sich umdrehen? Wo gehen die Türen auf? Links, rechts? Schiebetür? Ja, nein. In der Küche wird alles vermessen. Es gibt Steckdosen, die praktisch in der Front der Küche liegen.

Und dann wird das Haus dann auch noch mit so einem modernen System fotografiert, das dann einen virtuellen Rundgang erlaubt. Das heißt, der Interessent kann dann da draufklicken und kann dann jeden Raum virtuell besuchen und alle Details anschauen. Wo sind die Steckdosen? Sind die zu tief? Sind die im Eck? Wo sind die Lichtschalter? Sind die taktil gestaltet, sodass jemand, der keine Finger hat, die trotzdem an- und ausmachen kann.

Und erst wenn man dann all diese Auflagen erfüllt hat, wird man gelistet und das schafft natürlich eine Transparenz für den Nutzer, für den Touristen, die eigentlich unschlagbar ist, weil man dann gar nicht erst telefonieren muss, sondern man schaut einfach auf der Website, wie schaut das im Detail dort aus.

anderswo

Das ist ja dann auch schon ein Best-Practice-Beispiel, wie es an Informationsfluss dann auch aussehen kann. Ich würde noch mal gerne auf Urlaub als Form sozialer Teilhabe zu sprechen kommen. Wir haben ja schon gesagt, das ist ja auch juristisch festgelegt, die Verpflichtung, vulnerable Gruppen der Bevölkerung an der Teilhabe am Leben zu ermöglichen.

Und bei mir entstehen dann immer Bilder von gemeinschaftlichen Reisen, also Menschen mit und ohne Behinderung reisen zusammen. Jetzt sind aber Urlaubsbedürfnisse aber auch sehr, sehr unterschiedlich und nicht ohne Grund gibt es zum Beispiel auch Spezialreiseanbieter.

Zum Beispiel anders sehen, das sind, die machen Reisen für Sehbehinderte und blinde Menschen. Und ich habe im Vorfeld mit der Inhaberin der Frau Hahn gesprochen, die hat mir erzählt, dass sie bei der Gründung auch die Vision hatte, Reisen wirklich für alle anzubieten, sich aber sehr früh eingestehen musste, dass die Bedürfnisse doch zu unterschiedlich sind, um allen gerecht zu werden. Und für mich tun sich dann irgendwie zwei Wege auf.

Also Spezialanbieter können sehr genau auf die Bedürfnisse der Reisenden eingehen, das ist ein Vorteil. Und auf der anderen Seite bleibt diese Gruppe natürlich dann auch wieder unter sich. Das ist ein bisschen schade. Sehe ich so eine Dichotomie, ist die typisch für Fragen rund um Behinderung und Inklusion?

Gabriel Toggenburg

Ja, also es ist auf jeden Fall eine Frage, die sich überall stellt. Aber die Linie, auf die man sich einigt, ist eigentlich schon die, dass man sagt, es ist wichtig, dass man keine neuen Blasen schafft. Also letztendlich dann aufgrund der Überlegungen der Barrierefreiheit in einer Segregation zu landen, ist nicht das, was man will. Man möchte ja tatsächlich mehr Interaktion schaffen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und jenen Menschen, die irgendeine Form von Behinderung haben. Wie weit das möglich ist, hängt natürlich von der Struktur ab und vom Kontext. Bei uns muss ich sagen, ist es relativ leicht. Wir als Haus Himmelfahrt haben immer ganz deutlich das gesehen als eine Begegnungszone. Das war nie unsere Idee, dass wir gesagt haben, wir schaffen ein Hochebenenparadies für Rollstuhlfahrer, wo die dann sich über ihre Bedürfnisse austauschen können, sondern vielmehr ist die Ambition, die zu sagen, dass das Haus Himmelfahrt trägt dazu bei, einzusehen, dass Behinderungen einfach zu unserem Leben dazugehören. Und das ist eine Begegnungszone. Und das ist ja auch so wichtig, weil meine Kinder zum Beispiel sind aufgewachsen mit dem Umgang mit einem Rollstuhl und Rollstuhlnutzerinnen. Und wer natürlich noch nie einen Rollstuhl gesehen hat, der hat natürlich eine Hemmschwelle, eine Zugangsschwelle. Und jetzt ist es irgendwie schön zu sehen im Haus Himmelfahrt, dass die Gäste so gemischt sind und die kommen auch mit den Kindern oder mit ihren Hunden und die vermischen sich dann und man sieht dann richtig, wie man so zu einer Normalisierung beitragen kann. Das ist eigentlich eine schöne Sache, finde ich, diese Vermischung.

Wobei natürlich trotzdem gibt es Platz für Spezialanbieter. Ich finde wichtig ist immer die Wahlfreiheit. Ich würde diese Sachen nicht ideologisieren, sondern ich denke aus der Perspektive des Betroffenen ist es wichtig, dass man wählen kann, was einem eigentlich selber am wichtigsten ist.

anderswo

Ja. Und wenn ich Sie jetzt als Experte für Grundrechte schon da habe, gönne ich mir einen kleinen Exkurs. Und zwar eine Frage, die mich beschäftigt hat und die eigentlich auch eine eigene Podcast-Folge wert wäre. Gehen wir mal einen Moment weg von Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen zu wirtschaftlich benachteiligten Gruppierungen.

Die sind ja auch genannt als vulnerable Gruppierung, auch in den UN-Menschenrechten. Das Recht auf Erholung ist ein Grundrecht. Soweit ist das, glaube ich, unstrittig. Aber wie sieht das mit Reisen aus? Ist das ein Grundrecht oder Luxus? Das dürfen Sie mir gerne juristisch und oder persönlich beantworten.

Gabriel Toggenburg

Ich würde ja meinen, es ist weder noch. Also ich glaube, es ist kein Grundrecht und es ist auch kein Luxus. Wobei man natürlich unterscheiden muss zwischen Urlaub im arbeitsrechtlichen Sinn, also im Zusammenhang der Arbeitswelt ist Urlaub ein Rechtsanspruch und ein Grundrecht, das sehr weit geht. Also die EU-Grundrechte-Charta zum Beispiel

hat er in Artikel 31, der dieses Grundrecht auf bezahlten Urlaub ganz ausdrücklich niederschreibt. Und dieses Recht ist sogar unmittelbar einklagbar im Verhältnis zwischen zwei Privaten. Also was wir Juristen nennen, die unmittelbare Anwendbarkeit im horizontalen Verhältnis. Klingt natürlich schrecklich kompliziert. Aber es heißt, dass ich mich als Einzelner unmittelbar auf diese Europarechtliche Bestimmung berufen kann, meinem Arbeitgeber gegenüber zum Beispiel. Also da ist gar keine Frage im Arbeitszusammenhang ist der Urlaubsanspruch ein grundrechtlich abgesicherter Anspruch. Aber darüber hinaus ist es nicht so, dass wir alle einen Anspruch haben nach Italien ans Meer zu fahren und der Staat muss dafür zahlen.

Der Staat hat allerdings die Verpflichtung, uns ein Leben zu ermöglichen, wo wir eine Erziehung genießen, wo wir einen Wohnraum haben, der also einen gewissen Standard beinhält.

Wie wir dann aber mit diesem gewonnenen Mindestmaß an Lebensqualität umgehen, ob wir dann als Erholung lieber auf den Hausberg gehen oder nach Italien fahren, das ist etwas, wo der Staat jetzt nicht in die Verantwortung gezwungen werden muss. Mir ist durchaus bewusst, dass es natürlich eine Diskussion darum gibt.

Aber das ist immer ein bisschen das Problem beim Menschenrechtsschutz, dass er manchmal politisiert wird, dass er manchmal werden politische Forderungen als Grundrechtsansprüche präsentiert. Das gibt es ja in vielen Bereichen, also denken Sie an die Frage, wann beginnt Leben, wann endet Leben, Abtreibung, Sterbehilfe, aktiv, passiv. Da wird also sehr schnell dann behauptet, naja, aber die Grundrechte, die verpflichten den Staat dies oder jenes zu tun. Wenn man das dann sich genauer ansieht, dann ist es eigentlich nicht stimmig. Ein Grundrechtsanspruch ist kein politisches Desiderat, sondern es ist ein Rechtsanspruch, der muss klar formuliert sein, sonst verliert er auch seinen Wert.

anderswo

Ja, kommen wir nochmal auf die Barrierefreiheit zurück. Im Tourismus, na klar, wird auch Geld verdient und das ist ein großer Wirtschaftsfaktor. Aktuell haben viele Hotels mit den Nachwegen von Corona zu kämpfen, aber auch mit Personalmangel und werden auch zunehmend mit dem Druck von außen, mit der Forderung, sich nachhaltig aufgestellt, konfrontiert.

Ja, das kostet viele Anstrengungen und das kostet auch teilweise sehr hohe Investitionen und jetzt, sag ich mal, ein bisschen salopp, kommen wir zwei noch um die Ecke und sagen ja bitte schön auch noch barrierefrei. Was spricht dennoch dafür, wirtschaftlich betrachtet, in Barrierefreiheit zu investieren?

Gabriel Toggenburg

Also für Barrierefreiheit wie für Menschenrechte generell gibt es auch den sogenannten Business Case, also wie sie sagen, eben die wirtschaftlichen Argumente. Also erstens einmal ist es ein Markt, der nicht zu unterschätzen ist in seiner Größe. Also innerhalb der EU spricht man davon, dass in etwa 100 Millionen Menschen eine Behinderung haben. Je älter die Menschen werden, desto wahrscheinlicher, dass sie irgendeine Limitation haben und wir sind bald an einem Punkt, wo fast die Hälfte der Touristen über 55 Jahre alt sind, was natürlich die Wahrscheinlichkeit massiv erhöht, dass der Konsument sagt, naja, habt ihr einen Lift, kann ich mit dem Rollator in die Dusche fahren, gibt es eine Sitzgelegenheit etc. etc.

Also es ist schon mal die Gruppe der Konsumenten relativ groß und zweitens sind die Urlauber mit Behinderungen für den Hotelier, für den Tourismusanbieter insofern eine interessante Gruppe, weil sSie ein bisschen einen Anker-Effekt haben, also es kommt ja selten eine Rollstuhl-Nutzerin alleine, sondern die zieht meistens ihre Familie mit, was so einen Multiplikatoreffekt hat. Und es sind meistens Touristen, die auch länger bleiben, weil natürlich der Aufwand ist relativ hoch, man muss sich mal informieren, man muss recherchieren, man muss organisieren die Betreuung und so weiter.

Und wenn man dann schon mal endlich in den Urlaub fährt, dann bleibt man auch länger, also die bleiben eher länger. Und ein weiterer Vorteil ist, dass Touristen sind, die sich nicht so an die unmittelbaren Stoßzeiten halten, also die auch außer saisonal eine relevante Zielgruppe sind.

Und insofern unterm Strich denke ich, das ist eine interessante Zielgruppe. Das zahlt sich auch für einen unternehmerisch denkenden Menschen aus, zu sagen, naja, da sollte man mal hinschauen. Absolut.

anderswo

Da sind viele Argumente gefallen, die auch grundsätzlich für Nachhaltigkeit sprechen. Da sieht man wieder die Überschneidungen.

Ich finde, das ist ein schönes Plädoyer, schon fast ein Schlussplädoyer. Wir können natürlich sehr, sehr lange reden. Ich habe sehr viel gelernt auch heute. Aber wir können ja nie mehr als nur so ein Schlaglicht auf ein Thema lenken.

Ja, bevor wir alle in den, es ist Samstag, bevor wir uns ins Wochenende verabschieden, würde ich Sie noch um die Staffelfrage bitten. Was möchten Sie wissen von dem nächsten Gast in meinem Podcast?

Gabriel Toggenburg

Ja, also ich würde Sie oder ihn fragen, was Sie oder er antwortet, wenn also beim Frühstück es auf einmal Leute an der Tür und es kommt ein Alien herein, ein Menschlein oder eben kein Menschlein, ein Weslein von einem anderen Planeten, von Mars zum Beispiel.

Und die haben dort gar keine Ahnung, was Ressourcenmanagement und Nachhaltigkeit und Urlaub bedeutet. Und der setzt sich an den Frühstückstisch und fragt ja, bitte erklären Sie mir doch mal, was hat es auf sich mit diesem Bedürfnis, nachhaltig zu reisen? Warum überhaupt Urlaub und warum Nachhaltigkeit? Was ist hier das Problem? Das würde mich interessieren.

anderswo

Das werden wir fragen. Ich bedanke mich sehr, sehr herzlich, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben und uns ein bisschen was erklärt haben über Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit und die Zusammenhänge. Vielen, vielen herzlichen Dank.

Gabriel Toggenburg

Es war eine Freude, Frau Kühne. Alles Gute und wenn Sie mal Lust haben auf Urlaub, dann kommen Sie ins Haus Himmelfahrt. Sie sind sehr willkommen.

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